«Ungeduld ist eine schlechte Begleiterin»

Patricia Danzi, Chefin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), erklärt im Interview, wie mit Bildung Armut bekämpft wird und weshalb die DEZA insbesondere Frauen nachhaltig fördert. Die Arbeit im Bildungs­bereich, für die auch externe Expertise wie jene der EHB gefragt ist, braucht sehr viel Geduld. Patricia Danzi profitiert dabei bis heute von ihrer Karriere als Siebenkämpferin.

Ein Bild von Patricia Danzi, DEZA-Direktorin
Patricia Danzi, DEZA-Direktorin
zVg

Interview: Thorsten Kaletsch und Lucia Probst

Frau Botschafterin Danzi, können Sie heute beruflich das tun, wovon Sie als Mädchen geträumt haben?
Ja, ich wollte schon immer etwas bewegen und nicht nur in der Schweiz agieren. Ich habe davon geträumt, mit und für Menschen zu arbeiten. Ich hatte bereits im Kindergarten eine Rolle als Vermittlerin und habe auch später Mitschüler/-innen für kleine Projekte mobilisiert. Ich merkte früh, dass sich Dinge verändern lassen, wenn ich anpacke.

Würden Sie rückblickend in Ihrer Ausbildung etwas anders machen?
Ja. Ich würde früher versuchen, ein Austauschsemester zu machen. Sich früh mit anderen Menschen und Kulturen auseinanderzusetzen, ist enorm hilfreich. Aber es braucht Mut für den ersten Schritt.

Die Schweiz ist stolz auf ihr Bildungssystem. Zu Recht?
Ich denke schon. Es gibt hier sehr viele Möglichkeiten, die einem offenstehen. Dank der Durchlässigkeit des Bildungssystems kann man auch mit einer Berufslehre gut verdienen und eine akademische Ausbildung anstreben. Wir haben auch Strukturen für Jugendliche, die nicht in unser Schulsystem passen. In diesem Bereich habe ich früher selbst gearbeitet – er fehlt in anderen Ländern. Ein Nachteil ist, dass jeder Kanton sein eigenes System hat.

Prädestiniert uns das, in der internationalen Zusammenarbeit einen Schwerpunkt auf die Bildung zu legen?
Durchaus, wir können unser Modell aber nicht einfach kopieren. Es gilt zu analysieren, was das andere Land braucht. Dafür muss man auch mit jungen Menschen reden – nicht nur mit der Regierung und dem Erziehungsministerium. 

Welchen Stellenwert hat die Bildung in der internationalen Zusammenarbeit?
Bildung für alle ist wichtig und beeinflusst auch die anderen Entwicklungsziele positiv. Hochwertige Bildung ist das vierte der 17 UNO-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, zu denen sich alle Länder verpflichtet haben.

«Ich weiss, dass man für den Erfolg arbeiten muss – meistens sogar lange.»
Patricia Danzi

Stimmt es, dass fehlende Bildung die grösste Armutstreiberin ist?
Sie ist nicht der wichtigste Faktor, aber zweifellos ein wichtiger. Durch einen Krieg oder eine Pandemie kann auch die bestausgebildete Gesellschaft sehr schnell in eine Rezession oder in die Armut fallen, das zeigt sich in der Ukraine. Aber wer gut ausgebildet ist, hat auch dann mehr Möglichkeiten, aus einer schwierigen Situation schneller wieder auf die Beine zu kommen.

Wieso legen Sie bei Ihren Projekten den Fokus so deutlich auf die Frauen?
Weil es meistens die Frauen sind, die den Preis dafür bezahlen, wenn sich ein Land in die falsche Richtung entwickelt. Die Erfahrungen zeigen den nachhaltigen Effekt der Frauenförderung: Wenn eine Frau einmal ihren Weg gemacht hat – die erste Lehrerin, die erste Ärztin, die erste Pilotin – dann folgen ihr andere nach. Viele unserer Entwicklungsziele haben eine viel bessere Chance, wenn sie auch über die Frauen lanciert werden. 

Patricia Danzi welche eine IT-Lernwerkstatt in Nepal besucht.
Patricia Danzi (Dritte von rechts) anlässlich eines Besuchs einer IT-Lernwerkstatt in Nepal
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Vermittlerin und Diplomatin

Patricia Danzi (53) studierte in Lincoln, Nebraska, und Zürich Geografie sowie Agrar- und Umweltwissenschaften. Dazu verfügt sie über einen Vertiefungsabschluss in Entwicklungszusammenarbeit der Universität Genf. Als Spitzensportlerin nahm sie 1996 im Siebenkampf an den Olympischen Spielen in Atlanta teil. Danach arbeitete sie 23 Jahre für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, bevor sie 2020 das Amt als DEZA-Direktorin übernahm. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen und lebt im Kanton Genf.

Ist Berufsbildung das wirksamste Mittel, um die Jugend­arbeitslosigkeit zu senken?
Es ist sicher ein Mittel. Aber es braucht auch gute Rahmenbedingungen: Investoren und Jobs. Und die Jugendlichen müssen sich die Berufsbildung leisten können und eine solide schulische Basis mitbringen.

Wie gross ist der Anteil der Bildung an den gesamten Entwicklungsgeldern?
Es wird vergleichsweise wenig in Bildung investiert. Dies auch, weil man die Resultate nicht so schnell sieht. Die Landwirtschaft, der Klimaschutz, die vielen humanitären Projekte und Friedensmissionen sind weitaus grössere Posten. Die meisten unserer Entwicklungsprojekte sind auf vier Jahre ausgelegt. Im Bildungsbereich ist der Zeithorizont aber mindestens dreimal so lang. In Nepal, wo wir seit fast 60 Jahren tätig sind, haben wir es geschafft, sehr viele Frauen zu Ingenieurinnen auszubilden. Sie bauen jetzt Brücken über Täler. Ein enormer Entwicklungsgewinn!

Die EHB unterstützt mit ihrer Expertise zahlreiche Berufs­bildungs­projekte der DEZA – zum Beispiel in Burkina Faso, Kuba, Nordmazedonien, Usbekistan oder Serbien. Wofür brauchen Sie externe Partner wie die EHB? 
Sie sind wichtig, wenn wir in die Umsetzungsphase kommen. Dafür haben wir nicht die gesamte Expertise und alle Ressourcen im Haus. Wir stimmen unsere Leistungen auf die Bedürfnisse des Landes ab, und Organisationen wie die EHB setzen sie um. In Bulgarien zum Beispiel unterstützte die EHB von 2014 bis 2020 in unserem Auftrag den Aufbau eines dualen Berufsbildungssystems. Generell ist es wichtig, lokale Kräfte auszubilden, damit der lokale Arbeitsmarkt besser funktioniert.

In der internationalen Entwicklungs­zusammenarbeit braucht es einen langen Atem: Profitieren Sie diesbezüglich von Ihrer Karriere als Siebenkämpferin?
Ja, im Siebenkampf muss man zudem in vielen Disziplinen gut sein. Für ein gutes Resultat darf es in keinem Bereich schlecht laufen. Das gilt auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Im Sport habe ich auch gelernt, mit Rückschlägen umzugehen und mir meiner Limiten bewusst zu sein. Ich weiss, dass man für den Erfolg arbeiten muss – meistens sogar lange. Ungeduld ist eine schlechte Begleiterin.

  • Thorsten Kaletsch, freier Mitarbeiter, Kommunikation EHB 
  •  lic. phil. Lucia Probst, Redaktions- und Projektleiterin Kommunikation, EHB